Die Rolle des Anwalts Atticus Finch in der Verfilmung von Harper Lees Roman «To Kill a Mockingbird» war die seines Lebens. Sie entsprach Gregory Pecks integrem Charakter. Doch er konnte auch anders.
Christina Tilmann
Als die amerikanische Autorin Harper Lee am 19. Februar dieses Jahres im Alter von 89 Jahren starb, war er noch einmal vielfach präsent: Gregory Peck, der in der Verfilmung von Lees Bestseller «To Kill a Mockingbird» (1962) mit Atticus Finch die Rolle seines Lebens spielte – als Südstaaten-Anwalt, der einen fälschlich der Vergewaltigung angeklagten Schwarzen verteidigt. Was hätte Peck, der immer betont hat, wie vertraut ihm als Sohn eines Kleinstadt-Apothekers diese von Harper Lee geschilderte Welt war, dazu gesagt, dass 2015, ein Jahr vor ihrem Tod, mit «Go Set A Watchman» die verworfene Erstversion des Romans veröffentlicht wurde, in der jener Atticus Finch eine wesentlich ambivalentere Rolle spielt, als Teilnehmer rassistischer Versammlungen in Alabama?
Gregory Peck glaubte sich mit Atticus Finch auf der richtigen Seite: Als dem populären und auch politisch integren Schauspieler 1963 von Sophia Loren für diese Rolle der Oscar für den besten Schauspieler überreicht wurde, trug er in der Hand eine goldene Uhr, die Harper Lee ihm als Talisman überlassen hatte – ihr Vater, nach dessen Modell die Autorin Atticus Finch formte, hatte sie 35 Jahre lang im Gerichtssaal getragen. Die Rolle des verwitweten Anwalts, der versucht, seinen beiden Kindern Jeff und Scout ein Vorbild zu sein, und der vor Gericht so leidenschaftlich für Gerechtigkeit und Gleichheit plädiert, war wie zugeschnitten auf den immer etwas hölzern wirkenden Beau, dessen eindrucksvolle Grösse von 1 Meter 90 und dessen melodische Baritonstimme bestens zur Geltung kommen, wenn er am Ende des Films so eindringlich wie skrupulös plädiert, mit langen Gedankenpausen, und schliesslich die Geschworenen beschwört: «Ich flehe Sie an: Tun Sie Ihre Pflicht.»
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Kein Wunder, dass Gregory Peck, der am 5. April 1916 in San Diego geboren wurde, gern als Fürsprecher und Vertrauensperson eingesetzt wurde. So etwa in Alfred Hitchco*cks «The Paradine Case» (1947) erneut als Anwalt oder an der Seite von Ingrid Bergman in dem Psychothriller «Spellbound» (1945) als Psychiater, der seine Erinnerung verloren hat, den dunklen Blick unter den markanten buschigen Augenbrauen so verquält wie verführerisch – dem Newcomer-Paar Bergman/Peck wurde in Hollywood sofort eine Affäre nachgesagt.
Skandale waren seine Sache nicht – auch wenn er 1955, nur einen Tag nach der Scheidung von seiner ersten Frau, erneut heiratete – diese Ehe mit Veronique Peck hielt bis zu seinem Tod. Ernsthaft, aufrecht, liberal verkörperte Gregory Peck die gute Seite Hollywoods, so diskret in seinem Privatleben wie politisch engagiert, für Martin Luther King Jr. und gegen Vietnam, Schirmherr diverser Wohltätigkeitsveranstaltungen und sogar als Gegenkandidat zu Ronald Reagan im Gespräch. Integer, sympathisch, glaubwürdig und bis ins hohe Alter beunruhigend gutaussehend, könnte Gregory Peck im Vergleich zu Clark Gable oder Gary Cooper geradezu als Langweiler durchgehen – wenn er sich nicht grösste Mühe gegeben hätte, immer wieder erfolgreich gegen seinen Ruf anzuspielen, als rücksichtsloser Verführer von Jennifer Jones in King Vidors Westernepos «Duel in the Sun» (1946), als verbissener Captain Ahab in «Moby Dick» (1956), vor allem aber als leichtsinniger Journalist in William Wylers «Roman Holiday» (1953), in dem er mit Audrey Hepburn als entlaufener Prinzessin eine bittersüsse Kurzzeit-Romanze zwischen Spanischer Treppe und Kolosseum geniesst. Peck soll darauf gedrungen haben, dass Hepburns Name neben seinem im Vorspann genannt wird mit der prophetischen Ansage, sie würde garantiert den Oscar gewinnen, was dann auch tatsächlich eintraf. Die beiden blieben bis zu Hepburns Tod 1993 eng befreundet.
Dass er sich in späteren Jahren bis auf wenige Rollen aus dem Filmgeschäft zurückzog, sich für Tierschutz und gegen Atomwaffen engagierte, passt zu seinem Charakter – doch dass unter seinen letzten Rollen Abraham Lincoln und Joseph Mengele waren, zeigt seine schauspielerische Bandbreite. Als Gregory Peck am 12. Juni 2003 im Schlaf stirbt, betrauert die Filmwelt mit ihm eine Zeit, in der amerikanische Schauspieler die Welt so überzeugend glauben machen konnten, auf der richtigen Seite zu stehen.
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